Janet Uyar, die Autorin des Buches “Warte, bis die Granatapfelbäume blühen”, in dem sie die Geschichte ihrer Familie über vier Generationen erzählt, ist aus Samandağ. Mit Frau Uyar haben wir über den Prozess des Schreibens des Buches, über Samandağ, wo sie die ersten fünf Jahre ihrer Kindheit verbrachte, und über die Zeit die sie im griechischen Waisenhaus in Istanbul verbracht hatte gesprochen.
Interview: Ferit Yuhanna Tekbaş
Könnten Sie sich unseren Lesern, die Sie nicht kennen, vorstellen, und haben Sie noch einen anderen Beruf außer dem Schreiben? Wie haben Sie Ihr Interesse am Schreiben entdeckt?
Ich bin 1961 in Samandag Türkei geboren. 1974, mit 13 Jahren bin ich allein nach Deutschland gereist. Meine Mutter lebte schon seit sieben in Deutschland. Ich habe zuerst eine Ausbildung als Industriekauffrau absolviert, später habe ich Sozialwissenschaften studiert und arbeite aktuell als Sozialpädagogin in Wiesbaden. Ich habe zwei erwachsene Kinder und vier Enkelkinder.
Ich habe als Kind viel gelesen, besonders die griechischen Sagen haben mich sehr fasziniert. Wir hatten in der Klosterschule eine Riesenbibliothek und wann immer ich konnte, habe ich mich dahin verzogen und gelesen. Das Lesen vertrieb meine Einsamkeit. In der 3.Klasse gab es ein Schreibwettbewerb in der Schule und ich habe den 1. Preis bekommen. Ich kann heute nicht mehr sagen, was das Thema war, aber dass ich ziemlich überrascht war. Später mit 12 – 13 habe ich angefangen Tagebuch zu schreiben und kleine Gedichte. Das Schreiben half mir meine innere Welt und Gedanken zu sortieren. Erst viel später, mit über 40 Jahren kam der Wunsch auf einen Roman zu schreiben.
Sie haben ein auf Deutsch geschriebenes Buch „Warte, bis die Granatapfelbäume blühen“ dass wir ins Türkische übersetzen können als “Nar ağaçları çiçek açana kadar bekleyin”. Können Sie uns etwas über Ihren Prozess beim Schreiben dieses Buches erzählen? Wie ist die Idee zu dem Buch entstanden?
Ich habe wie so viele junge Frauen aus der Türkei früh geheiratet und sehr schnell zwei Kinder bekommen. Dabei war ich selbst noch sehr jung, unreif und unerfahren. Ich habe die Entscheidung meiner Mutter nie hinterfragt das war halt so, Punkt. Nach ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass irgendetwas mit mir, mit meinem Leben nicht stimmte. Ich war schnell überfordert mit den Kindern, mit der Arbeit mit meinem Mann. Ich wurde schnell wütend konnte mir aber nicht erklären warum. Viel später als ich mit einer Therapie begann, erfuhr ich, dass der Schlüssel in meiner Kindheit lag. Inzwischen hatte ich mich scheiden lassen und war als alleinerziehende Mutter allein für meine Kinder verantwortlich. Ich war sehr überfordert mit dieser Aufgabe. Meine Familie hat diesen Schritt nie verstanden und auch nicht akzeptiert. So etwas ist noch nie in ihrer Generation vorgekommen, das war für sie ein Schock, insbesondere für meine Mutter. Als meine Kinder ausgezogen waren und deren Lebensverlauf sich schwierig gestaltete, erlaubte ich mir über mein Leben nachzudenken. Ich habe angefangen viel zu schreiben. Mir Fragen zu stellen, warum mein Leben so verlaufen ist, warum ich trauerte, warum ich in Melancholie verfiel oder gar depressiv wurde. Ich habe viel gelesen und mit Menschen, die mir nah standen, gesprochen und bin wieder in Therapie gegangen. Ich habe gemerkt, dass das Schreiben und das Beschreiben meiner Gefühle und das Erforschen meiner Geschichte, unsere Geschichte mir dabei half mich, meine Mutter, meine Familie und die Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, besser zu verstehen. Schreiben war sozusagen wie Therapie aber auch Befreiung für mich.
2010 habe ich mit dem Schreiben angefangen, 2015 wurde das Buch veröffentlicht. Ich schreibe aber seit meinem 14 Lebensjahr Tagebuch, immer wieder mit Unterbrechungen. Wenn es mir gut geht, schreibe ich weniger.
Für unsere Leser, die das Buch bisher nicht gelesen haben, können sie uns eine kleine Zusammenfassung über den Inhalt erzählen?
Es geht um die Geschichte von 4 Generationen. Ich habe immer sehr gerne zugehört, wenn Großvater von seinen Eltern erzählte von seinem Vater, vom Krieg. Mein jüngerer Bruder, der bei meinem Großvater großgeworden ist, hat mir viel Material geliefert, auch meine Mutter und mein Onkel. Mein Großvater hat viel gelesen, viel erzählt vom Krieg und wie sein Vater vor dem Ersten Weltkrieg geflohen ist und was mit dem Christen im Krieg passiert ist. Er hat von der Vertreibung (Techir) erzählt. Das hat mich unglaublich interessiert und ich habe mich auf die Suche begeben nach entsprechender Literatur. Nach und nach ist in mir der Wunsch entstanden, meinen Großeltern und Urgroßeltern insbesondere den Frauen ein Gesicht zu geben, ihre Geschichte zu erzählen, damit sie nicht verloren gehen und die nächste Generation davon erfährt und sich selbst auch besser versteht. Wie heißt es so schön „wer seine Geschichte kennt, kann seine Zukunft besser gestalten“. Oder „wer seine Geschichte nicht erzählen kann ist verdammt sie zu wiederholen“.
In der Regel wurde Ihr Buch sehr gelobt, aber natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Mit welcher Art von Kritik sind Sie konfrontiert worden?
für viele Leserinnen war es schwierig, die vielen Namen und fremde Orte auseinanderzuhalten. Sie hätten sich gewünscht, dass ich bereits am Anfang des Buchs das Genogramm platziert hätte und nicht am Ende. Einige Leser:innen ,die sich in diesem Buch wiedererkannten denen aber einige Passagen nicht gefielen, haben es zwar nicht offen kommuniziert, aber beispielsweise beim Anbieter Amazon mit nur einem Stern bewertet. Ehrlich gesagt, habe ich mich auch darüber gefreut. Eine türkische Frau hat mir sogar vorgeworfen, dass ich die Türkei diskreditiert habe. Ich antworte dann: Wenn wir nicht in der Lage sind Missstände aufzudecken und anzuprangern kann es niemals eine Veränderung geben. Manche Menschen fühlen sich persönlich angegriffen, wenn ich gesellschaftliche Missstände kritisiere. Solchen Menschen fehlt es an Selbstreflexion und Selbstwertgefühl. Es geht nicht immer darum alles gut darzustellen, sondern auch darum Normen, Traditionen und Sitten zu hinterfragen und im Hinblick auf ihren Nutzen und emanzipatorischen Wert für die heutige Zeit zu überprüfen.
Die Leser aus Ihrer Heimat Antakya – Samandag, sind wahrscheinlich fasziniert von Ihrer Beschreibung von Samandag und Ihrer Kindheit. Wie sehr spiegelte sich der Samandag Ihrer Kindheit in dem Buch wider? Haben Sie irgendwelche Kindheitserinnerungen außerhalb des Buches, an die Sie sich erinnern und die Sie mit uns teilen möchten? Haben Sie noch Verwandte und Kontakte in Samandag?
ich habe die ersten 5 Jahre meiner Kindheit in Samandag verbracht. Es war für mich eine paradiesische Kindheit, die durch den Tod meines Vaters ein jähes Ende fand. Das war für die ganze Familie sehr traumatisch, insbesondere für uns Kinder. Sicherlich habe ich meine Kindheit also die ersten 5 Jahre in meiner Fantasie sehr idealisiert, aber auch der Literatur geschuldet. Es geht ja in der Literatur darum, einen spannenden Handlungsstrang zu spinnen und der Geschichte ein dramatisches Gerüst zu geben. Dadurch werden Geschichten lebendiger, nachvollziehbarer und interessanter.
Ja, ein paar Cousin und Cousinen leben in Samandag.
In Ihrem Buch wird erwähnt, dass Sie in einem griechischen Waisenhaus auf den Inseln von Istanbul gelebt haben. Wann sind Sie nach Istanbul gekommen? Wir würden gerne Ihre Geschichte hören, bis Sie in das griechische Waisenhaus kamen?
ich bin 1966 nach Istanbul zu den Prinzeninseln gebracht worden. Ich war damals 5 Jahre alt, also wenige Monate nachdem mein Vater gestorben war, wurden mein Bruder und ich auf die Prinzeninseln gebracht. Wie schon oben beschrieben, hatte ich bis dahin eine sorglose Kindheit. Mein Vater war ein besonderer Mensch. Er ist viel gereist durch seine Arbeit. Meine Mutter hat uns Kinder versorgt und gut behütet. Überbehütet. Wir Kinder waren frei, durften draußen spielen mit allen Cousins und Cousinen, wir waren gut ernährt, sind ständig in der Natur rumgesprungen, haben einfach eine unbeschwerte Kindheit genossen. Wir kannten wenig Verbote. Wir haben so lange auf den Feldern gespielt, bis wir von unseren Müttern zum Essen gerufen wurden. Es gab keinen Kindergarten oder sowas ähnliches und niemanden der ständig aufpasste.
Gab es andere Antakyaner im griechischen Waisenhaus (und später in der griechischen Schule, wenn Sie dort waren)? Hatten Sie irgendwelche Kontakte zu ihnen oder zu den Griechen in Istanbul? Wir hören oft, dass die erste Generation, die nach Istanbul kam, keinen Kontakt zu den Griechen in Istanbul hatte. Wie war Ihre Erfahrung?
naja, wir waren ja in so einer Art Klosterschule, also sehr abgeschieden von den anderen Bewohner der Insel. Das war eine Art Mikrokosmos für uns. Wir kannten nur die anderen Kinder und die Erzieher:innen. Mit den griechischen Kindern haben wir selbstverständlich auch Kontakt gehabt, zwangsläufig. Ja es gab auch andere Kinder aus Antakya oder Samandag aber diese kannte ich nicht von früher.
Haben Sie Griechisch gelernt?
Natürlich, ich habe ja 5 Jahre die griechische Schule besucht und habe alle Fächer auf Griechisch gehabt, Türkisch und Französisch hatte ich als Fremdsprache. Da ich schon als Kind bereits drei, vier Sprachen konnte, fällt es mir heute sehr leicht mich in anderen Sprachen hineinzuversetzen und sie zu lernen.
Warum sind Sie nach Deutschland gegangen? Welche Art von Prozess hat sich entwickelt? Wenn Sie über unsere Gesellschaft in Deutschland und ihre Beziehungen zueinander nachdenken, gibt es da Ihrer Meinung nach Ähnlichkeiten und Unterschiede zur Türkei?
Meine Mutter ist nach dem Tod meines Vaters 1968 als Gastarbeiterin nach Deutschland zunächst nach Bremerhaven und später nach Dortmund gekommen. Ich denke es waren wirtschaftliche Gründe aber auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Kinder.
Ich denke die wesentlichen Unterschiede sind die Art und Weise wie wir miteinander leben. In Deutschland wird eher darauf Wert gelegt ein Individuum zu sein, Selbstverwirklichung, Meinungsvielfalt, seinen eigenen Weg gehen, sagen wir mal egoistisch zu sein wobei das nicht immer negativ zu bewerten ist. in der Türkei wird mehr auf den familiären Zusammenhalt wert gelegt, das soziale Miteinander, Respekt vor dem Älteren und Traditionen und Normen sowie die Religion wird hochgehalten.
Wenn man sich in der Diaspora befindet, gewinnen Rituale, die mit der eigenen Kultur zusammenhängen (wie Sprache, Religion, Essen und Musik), an Bedeutung. Was ist Ihrer Meinung nach das einflussreichste und unverzichtbarste Element unserer Kultur? Haben Sie irgendwelche Traditionen von unserer Kultur und pflegen Sie diese Traditionen auch zu Hause?
Ich denke wir werden von den Werten und Nomen geprägt, die in unserer Kindheit vorgeherrscht haben Diese Werte haben mich natürlich stark geprägt. Werte wie z.B. ein guter Mensch zu sein, Gut und Böse zu unterscheiden oder ganz einfache Dinge wie nicht lügen nicht stehlen ein wahrhaftiger Mensch zu sein. Ich liebe Gastfreundschaft und pflege diese Tradition seit Jahren. Ich mag es Freunde und Familie einzuladen und gemeinsam zu speisen, zu unterhalten, zu lachen. Es macht einfach große Freude miteinander Zeit zu verbringen. Solche Momente erfüllen mich sehr und bereichern mein Leben. Es gibt ein arabisches Sprichwort: Alleine essen ist wie alleine sterben. Ich glaube, da ist was dran. Das hat mich natürlich alles geprägt. Ich denke das sind universelle Werte. Für mich ist es wichtig zu wissen, woher ich komme, meine Geschichte nicht zu vergessen und sie an meine Kinder und Enkelkinder weiterzugeben.
Gibt es neue Buchprojekte, an denen Sie gerade arbeiten?
Die letzten 5 Jahre habe ich studiert und nebenbei gearbeitet, daher hatte ich keine Zeit. Ich schreibe hin und wieder kleinere Texte, Gedichte und über Dinge, die mich beschäftigen. Aber tatsächlich habe ich eine Idee für ein Projekt. Ich arbeite aktuell in Vollzeit und muss ja irgendwie auch Geld verdienen. Für das Schreiben habe ich also kaum Zeit. Vielleicht in 4 – 5 Jahren.
Wird Ihr Buch “Warten, bis die Granatapfelbäume blühen” ins Türkische übersetzt werden?
Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Es kommt auf die Nachfrage an. Aber meine Tochter, die fließend Spanisch spricht und auch Übersetzungsarbeiten macht möchte mein Buch in Spanisch übersetzen. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, würde ich es wahrscheinlich auch auf türkisch übersetzen lassen. Mein türkisch reicht leider dafür nicht aus.